Pöbel und Pöbel - ein kleiner Beitrag zur Stimmungskultur

Veröffentlicht am 16. Oktober 2025 um 10:26

In den 1990ern war ich mit dem BVB in der Bundesliga unterwegs. Was waren das für Lieder, von "Zig Zag Zigeunerpack" bis "Wir bauen eine U-Bahn, von xy bis Auschwitz". Nicht, dass es alle gut fanden, aber es wurde toleriert, von der grossen Mehrheit unhinterfragt mitgegröhlt. Mit den Ultras wurde es besser, nicht nur in Dortmund. 

Es war schon immer so, sozialisiert werden Fussballfans in den grossen Stadien. In seltenen Fällen findet man dann den Weg zu einem Amateurverein und bringt die im grossen Fussballstadion gelernte Kultur mit ein. Meistens ein Strohfeuer einer kleinen Freundesgruppe. Manchmal entstehen kleine Fanszenen wie in Kreuzlingen, wo sich seit bald 30 Jahren immer wieder verschiedene Freundeskreise und Einzelpersonen zusammenfinden und den FC Kreuzlingen supporten.

Eine Fanszene bei einem Amateurverein entsteht, in dem Fussballfans von einem Profi-Verein plötzlich den örtlichen Verein entdecken. Manches funktioniert wie in einer grossen Fankurve, manches passt man an. Es hat eine andere Qualität, ob man einen Millionär im Stadion beleidigt oder einen Amateurspieler direkt an der Bande blöd anmacht - und dessen Frau und Kind gleich neben einem steht. Dagegen funktionieren auch zehn in die Höhe gereckte Schals recht gut, wenn man sich nicht gleich für die grösste Macht der Fussballfangeschichte hält. Kurzum: es braucht ein bisschen mehr Hirn, denn man steht mehr im Fokus und bekommt das auch schnell zu spüren. Setzt man etwas Hirn ein, bekommt man mehr Freiheit als im Profi-Fussball, setzt man es nicht ein, verschwindet man recht schnell.

Zuerst mal wirft man die ganze Leidenschaft und Fankultur meist unreflektiert hinein, schlägt über die Stränge, man ist der Pöbel. Was war ich selbst der Pöbel! Ich wollte zwar nicht gleich eine U-Bahn bauen, aber meine Leidenschaft für den FC Kreuzlingen trieb teilweise auch seltsam aggressive Blüten. Fahnen basteln, Fanzines schreiben, mit fiebern, als ginge es um Leben und Tod; Pyros und Randale. Einstehen für die eigene Gruppe, auch mit Fäusten wenn man angegriffen wird. Dafür würde ich noch heute stehen, wenn es drauf ankäme. Und ebenso habe ich noch heute Sympathien für leidenschaftliche Fussballfans, auch solche die übertreiben und mehr Action fordern. Aber der Kern ist immer die gemeinsame Leidenschaft zum Spiel, zum Verein und vielleicht auch zur eigenen Gruppe. Gift für jede Fangruppe sind Personen, die den Fussball missbrauchen. Die den Schutz der Gruppe suchen, um einzig ihren Müll abzuladen. Die das Spiel langweilt, mit Fan- und Fussballkultur im Grunde nichts anfangen können, weder Leidenschaft für den Verein noch für die Gruppe aufbringen, was sie natürlich verbergen müssen. Leute, die das Spiel nur mit Ironie oder Blödheit ertragen, aber nicht zur Selbstironie fähig sind. Kurz: weder Fans noch Fussball-Liebhaber sind, nicht Ultras, ja nicht mal Hooligans. Diese Leuten fühlen sich von einer Fangruppe angezogen wie die Motten vom Licht. Es kommt vor, dass bei kleineren Fanszenen solche Leute die Stimmung zu prägen beginnen. Nimmt sie das Problem nicht ernst, ist es auf Dauer der Tod einer solchen Gruppe, der Support auf den Rängen kippt ins endlos negative und stirbt. Die guten Leute sind da schon längst weg. Interessanterweise hört das Frustabladen fernab der Banner dann ebenfalls auf, es gibt nichts mehr, wo man sich verstecken könnte. Das Licht ist auch für die Motten erloschen.

Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Wenn man hinter gleichen Bannern steht, gilt es das immer wieder auszuloten (nichts anderes machen auch die grossen Ultragruppen - und darum starben unsägliche Dinge wie das U-Bahn-Lied). Wildheit und Freiheit gehören zur Fankultur, Grenzen mitunter ebenso.

Was mir wichtig ist: dieser kleine Beitrag darf zum nachdenken anregen, warum entsteht eine Gruppe (nicht nur in Kreuzlingen), wie entwickelt sie sich, warum gehen und kommen Leute und wie wichtig oder schädlich sind sie für eine kleine Fanszene. Angesprochen fühlen braucht sich niemand. Beim FC Kreuzlingen läuft das wunderbar, mit pöbelndem Pöbel in der Kurve.

Einmal Möwe - Immer Möwe und eines Tages spielen wir in der Challenge League!

GC Biasca - FC Kreuzlingen 1:0, 1/16-Finale Schweizer Cup am 11.11.2000

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Kommentare

Pöbel Crew
Vor 2 Tage

schöner Bericht, bis bald in der Kurve!